HOME Aktuell Schule zum Erfolg Projekte Überlegungen Orgel Galerie Werdegang Links Kontakt
                               
          > weitere Texte                    
          Überlegungen                    
                               
                               
          Existenziologie Heute

Internationales Symposion „Spielen in Wien“

10./11. 5. 1990

 

Es hat, wie ich höre, einige Verwirrung gestiftet und ängstliche Besorgnis ausgelöst, dass bei diesem Symposion ein Vortrag über Existenziologie gehalten werden soll. Es hat auch die Person des Referenten nicht zur Beruhigung beigetragen, sondern eher weitere Fragen, was das eigentlich solle, in welche Richtung das gehen werde, bewirkt.

Über Existenziologie zu sprechen scheint offenbar zunächst das Gegenteil von „spielen“ zu sein. Ist es denn nicht ein ungezogener Störversuch, der da am Programm steht?

Warum hat er nicht einen Programmpunkt gesetzt, wie etwa „Lustiges Luftmatratzenwerfen mit Harald Picker“?

Die einfachste Form der Rechtfertigung bestünde sicherlich darin zu sagen, dass auch Existenziologie nur ein Spiel sei, wie etwa „Monopoly“, mit schwierigen Spielregeln, zugelassen für psychostabile Adoleszente mit einem Grundkurs in Philosophie. Man sollte zumindest Jean Paul Sartre gelesen haben und vielleicht V. E. Frankl (Existenzanalyse und Logotherapie).

Nein, liebe Spielergemeinde! So wird nicht gespielt! Wir wollen ja - schon aus moralischen Gründen - den Glücksspielern und Falschspielern unter Ihnen nicht in die Hände spielen und die Existenziologie nicht so einfach ins bestehende System einspeichern, obwohl dies gerade die Systemspieler wieder erfreuen würde und man sich dort Freunde machen könnte.

Ich hoffe sehr, damit niemanden zu kränken, aber es passt doch sicher ins Konzept eines Spielsymposions, Anspielungen machen zu können.

Warum sich die Existenziologen den Systemspielern verweigern, soll gerne auch erklärt werden. Sie, die sich als besonders hochrangige Spieler fühlen, mit Computer und Wissenschaftstechniken arbeiten, sind im Grunde Personen, die das „Spiel“ des „Spiels“ nicht anerkennen wollen, durch immer neue Systemüberlegungen und Systemkombinationen zur Gewissheit des auf-jeden-Fall-gewinnens gelangen möchten - und dadurch das eigentliche Spielerische des Spiels zerstören.

Alle großen und schönen Spiele der Menschen, seien es Sportspiele oder Gedankenspiele wurden auf diese Weise aufgekauft, pervertiert, systemisiert und zerstört. Der Beispiele sind viele:

Da war einmal das Spiel „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, es gab ein „Marxismusspiel“, ein „Christentumspiel“ („Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“), das „Technik-Physik-Chemie-Wirtschaftsspiel“ ist fast schon am Ende.

Selbst an so unschuldigen Spielen wie dem Fußballspiel geht die Entwicklung nicht vorbei, es ist ins Kriegsspiel hineinsystematisiert worden.

Das Beunruhigende am Vortrag „Existenziologie heute“ ist bis zu dieser Minute vor allem dieses, dass niemand noch weiß, was es denn eigentlich ist, wenn Existenziologie im Raum steht.

Die Existenziologie ist eine Neugründung, die heute erstmals in einem Vortrag öffentlich genannt wird. Und solange ich nicht sage, was das ist, kann zwar jeder damit spielen, aber es fehlen sehr wesentliche Informationen, die jeder Systemspieler unter Ihnen dringend braucht, um es ins Systemspiel hineinzukriegen. So ist kein Gewinn daraus zu ziehen, so kann man es aber auch nicht umbringen - es steht, um im Schachspielerjargon zu sprechen: „Patt!“

So könnte es natürlich bleiben: Ich sage Ihnen nicht, was Existenziologie ist und kann diese daher weitgehend vor den Zugriffen unzüchtiger Spielernaturen schützen.

Nun ist aber die Existenziologie nicht meine Kreatur allein, ganz im Gegenteil, ist sie als neuer Weg der Wissenschaft im gemeinsamen Suchen einiger, allerdings weniger Personen entstanden und somit dem autistischen Ei entschlüpft und wird sich entwickeln. Sie braucht dazu Menschen, die geeignet sind, ihr Nahrung zuzuführen, die geeignet sind, sie zu befähigen, mit ihren Flügelschlägen die Welt zu gewinnen.

Ich bin also genötigt, doch einiges zur Existenziologie inhaltlich auszudrücken, allerdings auf eine Art, die es vermeidet, sprachlich in die bereitgestellten Systemfallen der verschiedensten Systemblöcke zu geraten.

Wertes Sektenreferat der Erzdiözese Wien! Noch haben Sie keinen Anhaltspunkt, der Sie ermächtigt, vor der „Existenziologie“ zu warnen. Herr Ordinarius für Philosophie! Sie finden keinen Zustand vor, der Sie in den Stand setzt, zuständig zu sein! Hochverehrte Ärztekammer! Versuchen Sie erst gar nicht aufgrund dessen, dass der menschliche Körper unwidersprochenerweise existent ist, irgendeine ärztliche, gekämmerte Aufsichtspflicht zu konstruieren. Der Existenziologe ist frei, weder dem Dachverband noch dem Psychotherapiegesetz unterworfen.

Es ist zwar ungeheuerlich, aber umgekehrt! Die Existenziologie ist zuständig für Euch alle, weil sie die Spielregeln, die Ihr fälschlicherweise zur Realität erklärt habt, zum Fiktionsspiel erklärt. Wenn Ihr Euch uns nähern wollt, so kann dies nur vor dem Prüfstein der Existenziologie erfolgen.

Nun möchten Sie, verehrte Anwesende endlich wissen, was das soll! Spielst Du ein Spiel - so lass uns doch mitspielen. Wir möchten die Karten offen liegen sehen. Oder, so fragen Sie, ist es etwas Ernsthaftes, das du uns da vorträgst, dann spiel auch nicht weiter mit uns, sondern räum diesen Zweifel aus!

So ist es also: Ihr wollt wieder einmal die Regeln bestimmen oder gar abstimmen über die Existenz oder Nichtexistenz der Existenziologie!

Ihr wollt wissen, ob die Existenziologie etwas Ernsthaftes ist? Was soll diese Frage nach dem Ernst? Was soll denn durch diese Ernsthaftigkeit wieder ausgeschlossen werden?

Die Forderung an den Existenziologen nach Ernsthaftigkeit ist ja bereits wieder ein Fallenstellerspiel. Ernsthaftigkeit bedeutet nämlich zunächst ganz harmlos - das ist der Falleneingang - man solle intensiv und umfassend Bewusstheit schaffen. Im nächsten Schritt aber fällt die Falle zu, dann nämlich wenn nachgefordert wird, dass es in diesem Bewusstsein verschiedene Wichtigkeiten gäbe, die zu beachten wären. Demnach gibt es dann etwas Unwichtiges, das man beiseite lassen könne, nicht weiter beachten müsse, aus dem Bewusstsein wieder ausschließen dürfe und solle. Tut man das nicht, so muss man sich dafür schämen. Schämt man sich der Existenz des Beschämenden, sitzt man bereits in der Falle und ist abhängig davon, ob man gefüttert wird, muss Unterwerfungsleistungen erbringen, um weitergefüttert zu werden.

Nein, die Forderung nach Ernsthaftigkeit ist, soweit sie nicht im ersten Schritt des intensiven und umfassenden Bewusstseins definiert wird, mörderisch, existenztötend. Der Existenziologe erkennt diese Falle und weist daher den Anspruch von vornherein ab.

Also werde ich eure Frage nach der Ernsthaftigkeit oder Spielhaftigkeit der Existenziologie nicht beantworten, weil diese Frage hinterlistig und im eigentlichen Sinne unzüchtig ist und auf die beginnende Vergewaltigung des Existenziologen hinzielt.

Dann aber wollen Sie wissen, ob es die Existenziologie wenigstens gibt. Ich kann diese Frage nur damit beantworten, dass es derzeit zwar wenige - aber doch einige - Existenziologen gibt, es daher nach Ihren gewohnten Spielregeln daher auch die Existenziologie geben muss. Und somit sitzen Sie in der Falle, aus der Sie sich nur dann befreien können, wenn Sie diese Frage einfach nicht stellen und somit bereits den ersten und wesentlichen Schritt der Existenziologie getan haben.

Die Frage nach Ernst oder Spiel, die Frage, ob etwas ernsthafterweise existiert, ist eine Frage für Verwaltungsbeamte eines Spielregelsystems, aber nicht für Existenziologen.

Dann werden Sie sicher die Frage stellen: Womit – Oh, Gott (oder zum Teufel) - beschäftigt sich denn dann die Existenziologie, die Existenziologen überhaupt?

Überhaupt! Das ist die Antwort: Die Existenziologen beschäftigen sich überhaupt mit dem „Überhaupt“. Mit diesem aber kann man im allgemeinen Sinne nichts anfangen. Die Existenziologie ist ein Wissen, mit dem man nichts anfangen kann, das sich aber unmittelbar selbst belohnt.

Was den Begriff der „Belohnung“ betrifft, so ist für den Existenziologen klar gegeben, dass Belohnung im existenziologischen Sinn ein Vorgang ist, der direkt mit der Existenz etwa eines Menschen zu tun hat, diese nicht gerade zu fördern imstande ist, aber jedenfalls existenziophil genannt werden kann. Wenn wir also vorher sagten, Existenziologie sei ein Wissen, mit dem man nichts anfangen könne, das sich aber unmittelbar selbst belohnt, so ist dieses Wissen existenziophil, es wird selbst existent, in dem Sinne, dass es nicht zu „haben“ ist. „Haben oder Sein“ würde Erich Fromm sagen und damit das Missverständnis weitertreiben, das in der Vorstellung besteht, man könne es sich aussuchen, sich moralisch dazu entscheiden.

Wissen - auch existenziologisches Wissen - kann keiner haben, es ist dem „Sein“ zugehörig bzw. dasselbe.

Auch die noch offene Frage, ob die Existenziologie möglicherweise eine Religion sei, oder wie Beamte eines Magistrats bei der Programmerstellung befürchteten, vielleicht eine Sekte (man könnte diese Angst verstärken, indem man statt Existenziologie einfach die englische Übersetzung, nämlich „existentiology“ sagt), auch diese Frage ist abzuweisen.

Existenziologie denkt sicher auch nach über das „ens a se“ das „Sein aus sich selbst“ - und das ist in Österreich jedenfalls der „LIEBE GOTT“ (oder im zärtlichen Diminuendo das „Herrgottl“), aber Religion ist ein System mit tanatophilen, todestriebverbundenen Notwendigkeiten der Ernsthaftigkeit und der Ausgrenzungen, somit das Gegenteil von Existenziologie.

Nun, da schon zweimal die Ernsthaftigkeit der Existenziologie zumindest in der herkömmlichen Bedeutung des Wortes verneint wurde, wollen Sie nun wieder wissen, ob vielleicht die Existenziologie doch nur ein Spiel sei.

Erstens stört mich bei dieser Frageformulierung das Wort „NUR“ (nur ein Spiel) außerordentlich, da dieses Wort ganz und gar unexistenziologisch ist. Es gibt nämlich kein nur in der Existenz. Jedwede mögliche Aussage, in der das Wort nur verwendet wird, ist notwendigerweise eine Falschaussage. Aussagen dieser Art, die ein nur beinhalten, können vergessen werden, beziehungsweise sollten als Falschaussagen enttarnt werden.

Diese Tätigkeit ist - damit Sie endlich ein konkrete Arbeitsgebiet des Existenziologen kennenlernen - ein typisches Arbeitsgebiet des Existenziologen. Die gesellschaftspolitische Dimension der existenziologischen Tätigkeit sehen sie darin, wenn ich etwa das existenziologische Projekt einer Initiative zur Abschaffung des Wortes „nur“ in der Sprache vorschlage. Dies hätte ungeahnte Auswirkungen auf die Bewußtseinsbildung unserer Gesellschaft und würde sehr konkrete sozialpolitische Folgen nach sich ziehen. Wenn etwa der Lehrer in der Schule nicht mehr sagen könnte, dass der Schüler xy ja nur faul sei, er ja nur Blödsinn im Kopf habe, oder der Sozialbeamte nicht sagen könnte, es wolle jemand ja nur einfach nichts arbeiten, usw. usf.

Wenn Sie also fragen, ob Existenziologie nur ein Spiel sei, so fragen Sie bitte ab jetzt „Ist Existenziologie ein Spiel? Sind Existenziologen Spieler?“!

Ich muß Ihnen darauf die vielleicht wenig befriedigende Antwort geben: Existenziologie ist die Grundlage der Bedingung jeder Möglichkeit zu Spielen.

Existenziologie ist das Spiel der Spiele zueinander!

Dazu noch die nächste Information: Existenziologie ist keine Wissenschaft im statisch kumulativen Sinne, sondern ein Prozess, der auch wieder prozesshaft erfahren und erlebt werden muss. Ein Lexikon der Existenziologie ist nicht denkbar. Bedingung des Erfahrens ist der existenziologische Prozess.

Dieser existenziologische Prozess muss notwendigerweise Motivation, Ziel und Inhalt jedes Spieles darstellen, wenn Spielen als Begriff sich unterscheiden soll von Tätigkeiten, die nur mehr den formalen Aspekt des Spielerischen beinhalten, wie etwa das Kartenspielen und vergleichbare folkloristische Beschäftigungen.

Der Begriff „Homo ludens“ ist vielfach missverstanden worden. Nämlich in dem Sinne, dass er übersetzt wird mit „der spielende Mensch“. Existenziologisch ist Homo ohne ludens nicht möglich, es sei denn, man versteht den Begriff Homo als Artenbezeichnung in der Evolutionsreihe der Zoologen.

Existenziologisch ist daher der Homo ludens verbal nicht übersetzbar, ohne dass eine innere Widersprüchlichkeit entstünde, die durch eine ergänzende Reihe von Gegenaussagen wieder repariert werden müsste.

Sie sehen, wie anstrengend und strukturierend der Existenziologe sein Metier tun muss, um seiner Identität nicht verlustig zu gehen.

Meinem lieben Freund Christoph Oberhuber, der in Österreich als Pionier der Existenziologie gelten kann, verdanke ich den wichtigen Grundsatz, der jeden Existenziologen begleiten sollte. Er lautet: „Ich komme kaum über meine Gedanken hinaus.“ Schwingen Sie sich bitte ein in diesen Satz, in dieses Kaum: „Ich komme kaum über meine Gedanken hinaus.“

Die nahezu unerträgliche Spannung, die entsteht, wenn Sie diesen Satz nachvollziehen, ist das Wasser, in dem sich der Fisch der Existenziologie wohlfühlt.

Dieser Satz ist die existenziologische Transformation des Bekenntnisses von Sokrates, der meinte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Sokrates irrte darin. Er hätte sagen müssen: „Ich weiß, dass ich kaum über meine Gedanken hinauskomme.“

Ich habe versucht, in diesem kurzen Referat bei Ihnen einen Vorgeschmack für existenziologische Prozesse zu bewirken. Sie können diesen Prozess natürlich verweigern, indem Sie das Gesellschaftsspiel „Gesellschaft“ weiterspielen, dessen wichtigste Spielregel lautet: „Wozu brauchen wir das?“ - „Was bringt das ?“ Mit dem Satz „Ich komme über meine Gedanken kaum hinaus“ werden Sie allerdings längere Zeit noch wie mit einem „Ohrwurm“ zu tun haben. Insofern habe ich Ihnen einen Verzögerungszünder gegen allzu schnelle Verdrängung eingebaut.

Sie können allerdings den anderen Weg gehen, den Weg des Homo ludens, um nicht zum Momo Luder zu werden, nämlich zu erfahren, was daraus wird, wenn Sie Prozesse der Existenziologie in Ihre Arbeit als WissenschaftlerIn, PädagogIn, PsychotherapeutIn, BeraterIn, SozialarbeiterIn, KünstlerIn, PolitikerIn, etc. einführen und sich nicht weiter Ihr existenziologisches Grab mit so unsinnigen Fragestellungen, ob Existenziologie ein Spiel sei und ob es sie überhaupt gibt, schaufeln.

Es werden von den Wiener Existenziologen in nächster Zeit Seminare und Hilfen angeboten, die es Ihnen ermöglichen, prozesshaft Existenziologe zu sein. Zu sein, nicht zu werden! Existenziologe ist man im Augenblick des Prozesses und nicht irgendwann einmal nach Ablegung einer Diplomarbeit.

                   
                               
                               
          > weitere Texte